Die Rückführung des Eigentums an die Gemeinden

Weiterführend zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Rückführung des Eigentums am Gemein­degut an die Gemeinden: 
Heinrich Kienberger (ehemaliger Vorstand der Abteilung Verfas­sungs­dienste im Amt der Tiroler Landesregierung und langjähriges Mitglied des Verfassungs­gerichts­hofes) in „Das Gemeindegut als Verfassungsproblem“ [LexisNexis 2018], S 48 ff)

 

1. Durch die Rückübertragung des Eigentums am Gemeindegut wird das verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsrecht der Agrargemein­schaften nicht verletzt

  • Grundsätzlich sind sowohl das Eigentumsrecht der Agrargemeinschaft als auch das Recht der Gemeinde an der Substanz des Gemeindeguts durch das verfassungsrechtlich ge­währ­­­­­leistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums (Art. 5 StGG, Art 1 des 1. ZPEMRK) geschützt. Allerdings ist das Eigentum der Agrargemeinschaften am “atypischen Gemeindegut“ nur ein formales, weil der – durch die Wald- und Weidenutzungsrechte verminderte – Sub­stanz­wert des „atypischen Gemeindegutes“ nicht den Agrargemeinschaften, son­dern jenen Gemeinden zusteht, in deren bücherlichen Eigentum das Gemeindegut vor­mals gestanden war (VfSlg 18.446/2008). Die Gemeindegutsagrargemeinschaften sind daher als bloß formale, die betreffenden Gemeinden jedoch als materielle Eigen­tümer­innen des atypischen Gemeindegutes anzusehen (VfSlg 19.320/2011).

Da den Gemeinden der Substanzwert des „atypischen Gemeindegutes“ seit jeher zuge­standen ist, liegt in der Rückübertragung des formalen bücherlichen Eigentums an die Gemeinden keine Vermögensverschiebung.

Die den Mitgliedern der Agrargemeinschaften allein zustehenden historischen Nutzungs­rechte bleiben hingegen von der Eigentumsübertragung gänzlich unberührt.

  • Die Rückführung des Eigentums am Gemeindegut an die betreffende Gemeinde bedeu­tet daher im Ergebnis nichts anderes als die Beseitigung der Unrechtsbescheide, stellt daher zu diesen lediglich einen „contrarius actus“ dar und ist deshalb nicht als Enteig­nung anzusehen.
  • Selbst bei einer rechtlichen Wertung der gesetzlich angeordneten Rückführung als Ent­eig­nung wäre eine solche aus verfassungsrechtlicher Sicht zulässig, da der Eingriff als im öffent­­lichen Interesse gelegen und nicht als unverhältnismäßig anzusehen ist (vgl. dazu etwa die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg 3.118/1956 und 9.911/1983).

Vgl.: Kienberger aaO S 50 f sowie Dringlichkeitsantrag vom 11.10.2013, S 158 f.

  • Die Rückführung des Eigentums am Gemeindegut an die Gemeinden verwirklicht auch keinen verfassungswidrigen Eingriff in die Privatautonomie der Gemeinden.

Insbesondere stellt „der Zwang zur Übernahme von Vermögenswerten in das Eigen­tum“ – entgegen einer in diesem Sinn vom Verfassungsdienst im Amt der Tiroler Landes­regie­rung (offenbar dem eher abstrusen Gedanken folgend, wonach dem Entrechteten die Rück­gabe des ihm unrechtmäßig Entzogenen furchtbar unange­nehm und ungelegen sein könnte) vertretenen Ansicht – keinen Eingriff in die durch das Eigentums­recht verfas­sungs­gesetzlich geschützte Privatautonomie der Gemein­den dar (vgl dazu: Keine Verlet­zung der Privatautonomie der Gemeinden durch Rück­übertragung).

 

 

2. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz steht einer Rückübertragung des Eigentums am Gemeindegut nicht entgegen

  • Die Rechtsstellung der Gemeindegutsagrargemeinschaften als bücherliche Eigen­tümer von Grundstücken, die zum Gemeindegut gehören, beruht nicht auf einem verfassungs­rechtlich unbedenklichen Gesetz, sondern – wie vom Verfassungsgerichts­hof in ständiger Rechtsprechung hervorgehoben – auf ohne gesetzliche Grundlage erlas­senen und damit qualifiziert rechtswidrigen Bescheiden der Agrarbehörde, mit denen Gemeinden das Eigen­tum an diesen Grundstücken entschädigungslos ent­zogen wurde.
  • Der dadurch begründeten Begünstigung der Gemeindegutsagrargemeinschaften und ihrer Mitglieder steht keine finanzielle Gegenleistung gegenüber.
  • Der gänzlichen Rückführung der gesetz- und entschädigungslosen und somit verfas­sungs­widrigen Vermögensverschiebung von Gemeinden zu Agrargemein­schaften, die, wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 18.446/2008 (Pkt. III. B. 1 der Entscheidungs­gründe, S. 15 des Originalerkenntnisses) erwähnt hat, „unsachlich und einer entschädi­gungs­­losen Enteignung gleichzuhalten“ ist, kann daher der ver­fas­sungs­rechtliche Grund­satz des Vertrauensschutzes nicht mit Erfolg entgegen­ge­halten werden.

 

3. Damit steht aber der Rückübertragung des Eigentums am Gemeinde­gut auch nicht die Rechtskraft der Übertragungsbescheide entgegen

Dem Gesetzgeber ist die Erlassung von Regelungen, die ein Außerkrafttreten (auch) rechts­­­­kräftiger Bescheide zur Folge haben, dann nicht verwehrt, wenn bei der Erlassung solcher Vorschriften die vom Verfassungsgerichtshof aus dem Gleichheitsgrundsatz abge­leiteten allgemeinen Gebote der Sachlichkeit und der Verhältnismäßigkeit beachtet werden (Kienberger aaO S 53).

  • Die rechtskräftigen Bescheide der Tiroler Agrarbehörde sind qualifiziert rechts­widrig.
  • Es ist sachlich gerechtfertigt, das Unrecht, das den Gemeinden mit der gesetz­wid­rigen und ersatzlosen Entziehung ihres Eigentums am Gemeindegut zugefügt wurde, – soweit noch möglich – zu beseitigen und nicht nur teilweise auszu­gleichen.
  • Die Vorgangsweise der Rückübertragung ist zweifellos verhältnismäßig, da durch die Rückführung des Eigentums am Gemeindegut an die Gemeinden diesen ledig­lich das seinerzeit rechtswidrig entzogene formelle (bücherliche) Eigentum an dem ihnen materiell nach wie vor gehörigen Gemeindegut verschafft wird, wäh­rend die Agrargemeinschaften die althergebrachten Nutzungsrechte im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen weiterhin ungekürzt ausüben können.

Daraus ergibt sich, dass die angesprochene gesetzliche Regelung den Erfordernissen der Sachlichkeit und der Verhältnismäßigkeit entspricht.

Näheres dazu:

 

4. Die Rückübertragung des Gemeindeguts an die Gemeinden liegt in der Kompetenz des Tiroler Landtags als Landesgesetzgeber

4.1 Die kompetenzrechtliche Stellung des Verfassungsgerichtshofs

  • Der Verfassungsgerichtshof erachtete sich bei seinen Erkenntnissen (insb VfSlg. 18./2006) an die Rechts­kraft der Bescheide der Agrarbehörde, die einen verfassungswidrigen Ein­griff in das Eigentums­recht der Gemeinden bewirkt hatten, gebunden. Er hatte also ungeachtet der Verfassungswidrig­keit dieser Bescheide nicht die kompetenzrecht­liche Möglichkeit, sie wieder aus dem Rechtsbe­stand zu beseitigen.
  • Im Bestreben, dennoch eine verfassungskonforme Lösung zu finden, gelangte der Verfassungsgerichtshof zur Auffassung, dass die verfassungswidrig erlassenen Bescheide (lediglich) zur Entstehung von „atypischem Gemeindegut“ geführt hätten, zu Gemeinde­gut also, das nicht im Eigentum einer Gemeinde, sondern im (formellen = bücherlichen) Eigentum einer Agrargemeinschaft steht, der Gemeinde jedoch dessen Substanzwert, also das „materielle Eigentum“ daran zukommt (vgl Kienberger aaO S 59).
  • Eine Korrektur der durch diese Bescheide herbeigeführten Rechtslage ist angesichts deren Rechtskraft nur durch einen Akt des Gesetzgebers (oder aufgrund einer gesetz­lichen Ermächtigung) möglich.
  • Im Übrigen gibt es keinen Hinweis darauf, dass
    • der Verfassungsgerichtshof von seiner Rechtsprechung zum „atypischen Gemeinde­gut“, die schon zu einer ständigen Rechtsprechung geworden ist, wiederum abgehen könnte;
    • der Verwaltungsgerichtshof seine Judikatur zum „atypischen Gemeindegut“ ändern könnte (vgl Kienberger aaO).

4.2 Die Erlassung eines derartigen Gesetzes zur Rückführung des Gemeindeguts an die Gemeinden fällt in die Kompetenz des Tiroler Landtags als Landesgesetzgeber

  • Das aus verfassungsrechtlichen Gründen für erforderlich erachtete Gesetz sollte im Wesent­lichen eine Verfügung über Gemeindegut und über Teilwälder, somit über agrargemein­schaft­liche Grund­stücke (§ 33 Abs. 2 lit. c Z. 2 bzw. § 33 Abs. 2 lit. d TFLG 1996) treffen: Diese Grundstücke würden durch das geforderte Gesetz unmittelbar aus dem Eigentum einer Agrar­gemeinschaft in das Eigentum jener Gemeinde zurückgeführt, der sie von der Agra­rbehörde durch einen gesetz­losen und somit rechtswidrigen Bescheid entzogen und in das Eigentum dieser Agrargemein­schaft übertragen wurden.
  • Die Erlassung eines derartigen Gesetzes fällt zweifellos in die Zuständigkeit des Landes­gesetz­gebers, also des Tiroler Landtags:

    Die B-VG-Novelle BGBl. I Nr. 14/2019 normierte mit Wirkung vom 01.01.2020 den Entfall des Kompetenztatbestandes „Bodenreform, insbesondere agrarische Opera­tionen und Wiederbe­siedelung“ gemäß Art. 12 Abs. 1 Z 3 B-VG. Seit diesem Zeitpunkt fällt die gesam­te Gesetzge­bung in diesen Angelegenheiten in die Kompetenz der Bundes­länder. Insoweit in der ange­sprochenen gesetzlichen Regelung eine zuzuord­nende Norm gesehen wird, greift Art 15 Abs 9 B-VG ein, wonach die Länder im Bereich ihrer Gesetzgebung befugt sind, die zur Regelung des Gegenstandes erforderlichen Bestim­mungen auch auf dem Gebiet des Straf- und Zivilrechtes zu treffen (vgl auch VfSlg 17.660/2005 uHa VfSlg 9336/1982, wonach die Zuständigkeit des Landes­gesetz­gebers „zur Regelung der Rechts­ver­hältnisse am Gemeindegut …. die notwen­diger­weise zivilrechtlichen Angelegenheiten mit einschließt“).

  • Dass bereits vor Inkrafttreten der B-VG-Novelle BGBl. I Nr. 14/2019 die Kompetenz des Landes­gesetzgebers zur Erlassung des diskutierten Gesetzes gegeben war, wurde von Kien­berger ein­drucksvoll nachgewiesen (Kienberger aaO, VII.C, S 56-59).
  • Es zeigt sich somit, dass die ÖVP und „Die Grünen“ als die derzeit die Landesre­gie­rung stellenden Fraktionen im Tiroler Landtag schon seit vielen Jahren mit der Erlas­sung eines Gesetzes über die Rückübertragung des Gemeindeguts an die Gemein­den in Verzug sind, sie die überwältigende Mehrheit der Gemeindebürger hinhalten und damit das grobe Agrar­unrecht prolongiert wird.

 

5. Die Notwendigkeit amtswegiger behördlicher Maßnahmen im „typischen Gemeindegut“

Unabhängig von der Erlassung eines Landesgesetzes über die Rückübertragung des (formellen) Eigentumsrechts am Gemeindegut an die Gemeinden besteht dringender administrativer Handlungsbedarf für die Agrarbehörde.

Vorzunehmen sind:

  1. die amtswegige Löschung der bei typischen Agrargemeinschaften im Grundbuch einge­tra­genen „Anteilsrechte“ von Mitgliedern, die von der Agrarbehörde im Rahmen von „Regu­lierungsverfahren“ ohne gesetzliche und faktische Grundlage bescheid­­­mäßig fest­gestellt worden waren, da die Umwandlung bloßer Nutzungs­rechte am Gemeindegut in Anteile an der Substanz unzulässig ist (VfSlg 9336/1982);
  2. die amtswegige Anpassung der den Substanzwert der Gemeinden gleichheitswidrig ein­schränkenden Regulierungsbescheide an die geänderten Verhältnisse jener Agrar­ge­mein­schaften, bei denen die Gemeinde als Eigentümerin im Grundbuch eingetra­gen ist. In seiner Entscheidung vom 11.07.2008 (VfSlg 18.448 „Mieders I“) wurde vom Ver­fas­sungsgerichts ausdrücklich hervorgehoben, es wäre „schon längst Aufgabe der Agrar­­be­hörde gewesen, die Änderung der Verhältnisse von Amts wegen aufzu­greifen“.
Wir freuen uns, wenn Sie die Webseite agrarpapers.tirol mit anderen Personen teilen!
Klicken Sie auf einen der Buttons unten:

Gemeindeland in Gemeindehand: überparteilicher und unabhängiger Verein – ZVR-Zahl 1505804346

Redaktion: Dipl.-Ing. Leonhard Steiger, Forstwirt & Dr. Werner Lux, Jurist


© 2021– All rights deserved.

Textvorlage zum Kopieren und Weiterschicken

Sehr geehrter Herr/Frau _______,

Der überparteiliche Verein „Gemeindeland in Gemeindehand“ hat die Homepage www.agrarpapers.tirol erstellt, auf der zeitlich geordnet der „größte Kriminalfall Tirols“ (Zitat Georg Willi, Bürgermeister von Innsbruck) dokumentiert ist. Es handelt sich um großflächige verfassungswidrige Eigentumsübertragungen von öffentlichem Eigentum (Gemeindeeigentum) hin zu Agrargemeinschaften. Die eingehenden Recherchen, die sich auf umfangreiche Grundbuchserhebungen des Tiroler Gemeindeverbandes und höchstgerichtliche Erkenntnisse stützen, zeigen grobe Fehlleistungen der Tiroler Agrarpolitik und der Tiroler Agrarbehörde auf und dokumentieren erstmals die erschreckende Dimension der damit einhergegangenen Gemeindeenteignungen.

Eine verfassungskonforme Reparatur dieses untragbaren und gleichheitswidrigen Zustandes ist jederzeit durch ein vom Tiroler Landtag zu beschließendes „Rückübertragungsgesetz“ möglich.

Diese Initiative muss unterstützt werden! Man wird wohl von verantwortungsbewussten Politikern erwarten können, dass sie den derzeit bestehenden verfassungswidrigen Zustand beenden.

Rechtstaatlichkeit und Gleichheit vor dem Gesetz geht und alle an! Helfen auch Sie im Rahmen Ihrer beruflichen Möglichkeiten, die in der Homepage www.agrarpapers.tirol formulierten Forderungen zu unterstützen, um diesen beschämenden verfassungswidrigen Zustand zu beenden.

Mit vorzüglicher Hochachtung,